Während sich Experten derzeit bemühen eine Antwort auf die Gretchenfrage der Corona-Krise zu finden, nämlich ob oder wie man gegen das Virus immun werden kann, muss ich immer wieder an Bob denken. Bob ist der härteste Hund, der mir je begegnet ist. Wenn jemand immun gegen die Covid-19-Erreger ist, dann bestimmt er. Eine Begegnung mit dem Chuck Norris Afrikas.
Es ist drei Uhr früh, als ich aus dem Schlaf hochschrecke. Irgendwas hatte mich geweckt. Nicht die üblichen Moskitos, die mir die Nächte zuvor vermiest hatten. Nein, das war irgendwas Größeres. Etwas, das genug Wumms hat, um mein Zelt vibrieren zu lassen. Etwas, gegen das meine Malaria-Pillen nicht helfen würden, so viel war klar. Aber gefährlich sollen die Nächte in der kenianischen Wildnis ja angeblich nicht sein, solange man brav in seinem Zelt bleibt. Hatten mir zumindest die Massai-Krieger erklärt, die unser Camp mit Pfeil und Bogen bewachten.
„No problem, Sir. You are safe!“ Ich hatte ihnen vertraut. Jetzt nicht mehr. Denn das Brüllen, das plötzlich unmittelbar neben meinem Zelt einsetzte, stammte eindeutig von einer Raubkatze. Ein Sound, der durch Mark und Bein ging. Bestimmt ein Löwe. Ob der wusste, dass deutsche Reporter tabu sind? War ihm bestimmt egal, dem König der Wildnis. So einer nimmt sich was er will, wo er will und wann er will. Und ein paar halbnackte Massai mit Flitzebogen würden ihn davon sicher nicht abhalten. Schwerere Waffen gibt’s nicht im Camp. In einem Land, das vom Artenschutz lebt und wo die Jagd seit 1977 verboten ist, hat sich der Mensch der Natur unterzuordnen. Ist ja schön im Prinzip. Also in der Theorie. Aber in der Praxis? Ich war dem Gutdünken der Raubkatze ausgeliefert. War eine potentielle kleine Zwischenmahlzeit.
Das Zelt von Bob, dem Raubkatzenkenner, der mich in diese missliche Situation gebracht hatte, war hundert Meter entfernt. Er hatte mich eigentlich mitgenommen, um mir kleine Geparden-Babys zu zeigen. Süße kleine Miezekatzen, die vom Aussterben bedroht sind. Klar wollte ich die sehen, bevor es die nicht mehr gibt. Aber von menschfressenden Bestien war nie die Rede gewesen. Bob kann das egal sein, den abgebrühten Buschmann mit der sonnengegerbten Lederhaut würde bestimmt keiner fressen wollen. Viel zu zäh der Typ. Ja, ein paar harte Eier würden in seinem Job nicht schaden, hatte der Dschungelkönig beim Abendessen noch geprahlt. Die hätte ich Weichei jetzt auch gerne.
Ich schnappe mir das Walkie-Talkie und funke Bob an. Der soll mich gefälligst retten – für was bin ich denn schließlich mit Tarzan unterwegs. „Hey Bob, Löwen vor meinem Zelt!“ „Ja, schon gehört. Fantastisch.“ „Aber doch bestimmt gefährlich.“ „Quatsch, der ist nur geil.“ „Wie geil?“ „Der ist auf Brautschau.“ „Vor meinem Zelt?“ „Ja, der hat mitbekommen, was da für ne Pussy wohnt.“ „Haha, sehr komisch.“ „Keine Sorge, der tut dir nichts.“ „Und wenn er Hunger bekommt?“ „Dann langt er dich trotzdem nicht an. Löwen sind Fleischfresser, die fressen keine Vegetarier.“
Bob Poole weiß so was, schließlich lebt der gebürtige US-Amerikaner seit frühester Kindheit in der kenianischen Wildnis. „Schon meine Eltern waren verrückt nach dem Busch. Wir waren ständig auf Safari, haben immer in der Wildnis gecampt. Ich bin da reingewachsen und könnte mir keinen schöneren Ort auf der Welt vorstellen.“ Dabei hat der preisgekrönte Dokumentarfilmer für National Geographic schon viele exotische Orte bereist. Kaum eine Spezies, mit der er sich nicht schon filmisch auseinandergesetzt hätte: Elefanten, Gorillas, Krokodile, Löwen, Büffel, Nilpferde, Erdhörnchen, Adler – Bob ist ein wandelndes Tierlexikon. Richtig lebensbedrohlich war dabei eigentlich nur eine Begegnung mit einem Elefanten in Mozambique. Hat er nur knapp überlebt. Als er den Emmy Awardfür „War Elephants“ abholt, trägt er noch Gips.
Ansonsten ist ihm außer vier Malaria-Infektionen, die sich jedes Mal wie sterben anfühlten, nicht viel Schlimmes widerfahren. „Das gefährlichste an meinem Job sind die Menschen, die mir im Busch begegnen. Die rasen hier zum Teil wie die Irren mit ihren Autosdurch die Steppe. Mein Vater ist so ums Leben gekommen. Er stand hunderten von Löwen gegenüber und gekillt hat ihn schließlich ein Auto.“ Das hat Bob geprägt. So richtig frei und sicher fühlt er sich nur in der Wildnis. „Da gelten ganz einfache Überlebensregeln: Schwimme nicht mit Krokodilen und trete nicht auf Schlangen!“
Dass man nicht einfach in jeden Busch pinkeln darf, hatte er vergessen zu erwähnen. Der Büffel, den ich dabei aus seiner Siesta aufschrecke, hatte offensichtlich wenig Verständnis dafür, dass ich sein Revier markierte. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich sofort fällig gewesen. Zum Glück braucht das Riesenmonster einen Moment, um seinen tonnenschweren Körper zu erheben und in Trab zu bringen, so dass ich mich gerade noch in den Jeep retten kann, während er wutschnaubend auf uns zusteuert. So müssen sich Toreros fühlen. „Und Bob, ist der auch einfach nur geil?“ Bob findet’s gar nicht komisch. Seine Buschmann-Lässigkeit ist mit einem Schlag dahin. So panisch hatte ich ihn noch nicht erlebt. „Glück gehabt, das sind lebensgefährliche Viecher. Nach Nilpferden sind Begegnungen mit Büffeln die zweithäufigste Todesursache im afrikanischen Busch. Merke: Vegetarier sind die schlimmsten!“
Wie gut, dass Geparden Fleischfresser sind. Für die grazilen Raubkatzen brennt Bobs Herz nämlich ganz besonders. Ein Jahr lang hat er eine Cheetah-Familie, wie Geparden in Afrika genannt werden, mit der Kamera durch die Mara Naboisho Conservancy begleitet und dabei spannende Beobachtungen machen können. „Ein mutiger kleiner Killer mit Top-Instinkten, der voll auf Jagd programmiert ist. Wenn du auf seinem Speiseplan stehst, hast du kaum eine Chance.“ Menschen stehen natürlich nicht auf ihrem Speiseplan. Im Gegenteil, der Mensch ist maßgeblich daran schuld, dass Geparden auf der Roten Liste gefährdeter Arten ganz weit oben stehen. Früher streiften Geparde durch die Savannen von Indien, an den Küsten des Roten Meeres und durch ganz Afrika. Bis der Mensch immer mehr Raum beanspruchte.
Heute ist der asiatische Gepard so gut wie ausgestorben. Weltweit bewohnt der Cheetah nur noch neun Prozent seines einstigen Lebensraums, berichten alarmierte Wissenschaftler und Artenschutzorganisationen. Dreiviertel von ihnen würden durch Reviere außerhalb definierter Schutzzonen ziehen, wo sie Konflikten mit Bauern oder Wilderei zum Opfer fallen. In einigen Golfstaaten sind Geparde nämlich groß in Mode. Ein Jungtier kann dort mehr als 10.000 Dollar einbringen. Welche Verluste der Schmuggel für die weltweit schrumpfende Geparden-Population bedeutet, darüber gibt es nur Spekulationen. Aber im Internet muss man nicht lange suchen, um Angebote von jungen Geparden zu finden, die von sogenannten Züchtern angeboten werden.
In freier Wildbahn leben heute weltweit nur noch circa 7.000 Geparde. Tendenz fallend. Die circa 1.300 Tiere, die sich in den kenianischen Schutzzonen aufhalten sind dabei durchaus privilegiert, wie Bob erklärt. „Kenia ist vorbildlich was Tierschutz anbelangt. Die Jagd ist strengstens verboten und sogar die Bauern halten sich daran. Wenn ihnen eine Ziege oder Kuh gerissen wird, dann müssen sie den Übeltäter nicht richten, sondern bekommen ihre Tiere vom Staat ersetzt. Nur so hat der Artenschutz eine Chance. Freier und unberührter kann man die Tiere sonst nirgends erleben.“
Wer einmal neben Bob im Jeep sitzt, wenn der Acinonyx jubatus zur Jagd ansetzt, der versteht seine Faszination. Innerhalb von drei Sekunden beschleunigt die Raubkatze auf 100 Stundenkilometer. Der schnellste 911er Porsche braucht dafür 3,4 Sekunden. Das macht den Geparden zum schnellsten Landtier der Erde. Atemberaubend.
Die Schnelligkeit ist überlebenswichtig für das zarte Tier. „Das Problem ist, dass sie nicht nur den Menschen, sondern auch so viele natürliche Feinde haben. Sie sind die Underdogs in einem Revier, das von Löwen und Hyänen dominiert wird. Deswegen müssen sie schnell jagen, schnell essen und stehen dadurch immer unter Strom. Sie kämpfen niemals um ihre Beute, geben sie lieber auf, denn die schmächtigen Katzen hätten keine Chance im Zweikampf.“ Außerdem gilt es die zurückgelassenen Jungen zu schützen. Sie durchzubringen ist oberste Priorität jeder Gepardenmutter. „Nur fünf von hundert Neugeborenen überleben die ersten Jahre. Sie fallen Löwen, Hyänen und Greifvögeln zum Opfer, oder sterben durch Hitze oder Kälte.“
Die Gazelle, die Bobs Hauptdarsteller, Naborr, vor unseren Augen gerissen hatte, lässt er unberührt liegen und verschwindet blitzschnell. Irgendwas hat sie aufgeschreckt. Womöglich liegt ein Hauch von Löwenduft in der Luft. Ich riech’s auch. Glaube ich. Vielleicht ist es aber auch nur mein Angstschweiß. Trotzdem lieber weg hier. Bob lacht: „Hey, merk dir doch endlich mal: Löwen fressen keine Vegetarier!“