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Zurück in Peking. Wieder wortlos sechs Stunden einmal quer durchs Land, gilt es das neue Zuhause zu erkunden. Ich hatte mich gegen das, von meiner Agentur offerierte Model-Apartment entschieden, weil ich keine Lust hatte in einer WG mit einer Horde russischer Teenies zu leben. Junge Russen und Ukrainer zwischen 16 und 25 dominieren den hiesigen Model-Markt. Ansonsten verirrt sich hier kaum ein international arbeitendes Model hin. Vielleicht auch, weil das hiesige Model-Leben nicht so sexy ist, wie in Paris oder Mailand.
Das chinesische Model-Hamsterrad dreht sich schnell
Die jungen Mädels und Jungs müssen hart arbeiten. Jeden Tag Programm von früh bis spät. Castings, Fittings, Tests, Shootings, Laufsteg. Allesamt immer in den Agentur-Bussen durchs hiesige Verkehrschaos gekarrt. Stundenlang im Stau. Von Termin zu Termin, abends erschöpft ins Bett und am nächsten Morgen wieder früh raus. Das Model-Hamsterrad von Beijing dreht sich schnell. Da bleibt nicht viel Zeit für Vergnügen. Und da Arbeits-Visen stets auf drei Monate limitiert sind, gilt es keine Zeit zu verschwenden. Und da die Agentur in ihre Schäfchen investiert und alle Kosten vorschießt, achten sie tunlichst darauf, dass diese funktionieren. Abgerechnet wird erst, wenn die Mädels wieder gen Heimat fliegen. Abzüglich der Agenturprovision, Miete, Fahrer, Telefon, Visa, Flugkosten, sowie dem wöchentlich ausbezahlten Taschengeld von 50 Euro, kann da ganz schön was zusammenkommen, je nachdem, wie erfolgreich die jungen Grazien waren.
Dem Zirkus hatte ich mich in weiser Voraussicht entzogen. Ich hatte sowohl Flug als auch Wohnung selber gebucht und auch den Fahrservice dankend abgelehnt. Ich wollte kein Lohnsklave sein. Und ich wollte vor allem in keiner Model-Bubble leben. Ich wollte möglichst viel China einatmen, um möglichst schnell chinesisch auszuatmen. Assimilation ist angesagt..
Meine Zweizimmerwohnung im 21. Stock, in Dongsi Shitsao, mitten im Zentrum, hätte ich auf airbnb kaum besser auswählen können. Nach europäischen Standards zwar etwas abgerockt, aber für hiesige Verhältnisse sehr gut. Hierhin verirren sich keine Ausländer. Hier leben nur Einheimische. Meine Nachbarn zahlen zwar wahrscheinlich keine 1.300 Euro Miete im Monat, aber dafür bin ich mittendrin statt nur dabei.
Ein Exot unter Exoten. Hier spricht keiner englisch, aber man begegnet mir mit wohlwollender Neugier. Sogar die haueigenen Kiosk-Besitzer wissen nach einigen Anlaufschwierigkeiten um meine Vorlieben und liefern mir kein Klopapier mehr, wenn ich eigentlich Bier bestellt habe.
Sogar meine seltsamen Rauchgewohnheiten haben sie akzeptiert. Ich bin Gelegenheitsraucher und als Ex-Süchtling, vermeide ich tunlichst, eigene Zigaretten zu besitzen. Aus Selbstschutz. Man könnte mich daher auch getrost als Schnorrer bezeichnen. Derlei ungünstiges Etikett wollte ich in meiner neuen Nachbarschaft natürlich vermeiden, weswegen ich am Kiosk eine eigene Packung deponiert habe, aus der ich mich gelegentlich bediene. Es hat sehr viel Energie gekostet, ihnen zu erklären, dass ich die Schachtel zwar kaufen, aber nicht mitnehmen will, sondern nur gelegentlich einzelne Fluppen will, aber ich habe es irgendwie hinbekommen.
Seinem verständnisvollen Lächeln nach zu urteilen, hat der Kiosk-Besitzer mittlerweile kapiert, dass ich armer Kerl ein klitzekleines Suchtproblem habe. Oder vielleicht auch nur, dass die Langnase aus dem 21. Stock einen an der Klatsche hat.