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Der Idiot und die Hure

Podcast

Jetzt will der Idiot also die chinesisch-stämmige Kurzvideo-App TikTok in den USA verbieten. Weil, so der Idiot, DER CHINESE sonst die Nutzerdaten von 100 Millionen US-Abonnenten  – vornehmlich Atomphysiker und Raketenwissenschaftler – ausspionieren könnte. Nicht auszumalen, was das für Folgen haben könnte, wenn DER CHINESE herausfindet, was in den Köpfen von amerikanischen TikTok-Usern vorgeht. Womöglich würde Peking jegliche Ehrfurcht vor dem vermeintlichen Gegner verlieren und sofort mit der Abrüstung beginnen.

Der Chinese ist schlauer als der Amerikaner.

Wahrscheinlich hat die amerikanische Waffenlobby den Idioten zu dem Boykott bewogen. Womöglich hatten diese vorher Douyin, die chinesische Variante von TikTok, ausspioniert und ihnen war Angst und Bange geworden angesichts der intellektuellen Diskrepanzen. Die 500 Millionen chinesischen User haben nämlich einen viel höheren Bildungsstand als die amerikanischen. Das Schulsystem im Reich der Mitte ist deutlich besser als in den USA. Pisa-Studien belegen das: China Platz 1, USA Platz 13. Der Chinese ist einfach schlauer als der Amerikaner.

Sogar die Huren sind schlauer in China.

Zumindest Ming ist eine sehr schlaue Hure. Da sie einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften besitzt, dürfte sie allemal schlauer sein, als der Idiot im Weißen Haus. Der hat zwar auch einst Wirtschaftswissenschaften studiert, musste aber dreimal die Uni wechseln, bis ihm, dank Papis Hilfe, schließlich der Bachelor-Abschluss im Fachbereich Immobilienwirtschaft gelang. Mings Vater, ein Shanghaier Krämerladenbesitzer, hatte nicht die Mittel seine Tochter zu unterstützen, aber da diese ein schlaues Kind war, wurde ihr ein staatliches Stipendium gewährt. Im Gegensatz zum Idioten, hat Ming sich zwar auf japanische Wirtschaft spezialisiert, aber dass Immobilien eine gute Wertanlage sind, hat sie trotzdem kapiert.

Die Geschäfte der 26-jährigen laufen so gut, dass sie ihre Shanghaier Eigentumswohnung bereits zur Hälfte abbezahlt hat. Aus eigener Tasche, wie sie mir stolz erklärte. Normalerweise kann sich eine junge Chinesin so etwas nur mit familiärer Unterstützung oder durch Heirat leisten. Das ist üblich, denn der Wohnungskauf gilt als eine Familieninvestition. Und in Immobilien investieren gilt in China als einzig sichere Geldanlage. Wer das erforderliche Eigenkapital zusammenbekommt und kreditwürdig ist, wird jederzeit einen Wohnungskauf der Miete vorziehen, denn bislang kannte die Entwicklung der Immobilienpreise nur eine Richtung: nach oben.

Immobilien sind eine sichere Investition.

Seit der Privatisierung der Wohnungen vor zwanzig Jahren sind die Preise stetig gestiegen. Wer vor einem oder zwei Jahrzehnten eine Wohnung erworben hat, der hat heute ausgesorgt. Die Immobilienpreise in chinesischen Städten, besonders in Metropolen wie Peking, Schanghai oder Guangzhou sind zumeist höher als in Europa und in den Vereinigten Staaten. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis im Zentrum von Shanghai liegt derzeit bei etwa 11.000 Euro, in New York bei 9.900 Euro. Tendenz steigend. Wer jetzt noch dabei sein will, der muss tief in die Tasche greifen. Oder, wie Ming, im Shanghaier Stadtteil Pudong investieren.

Wenn man von Puxi aus die Skyline von Pudong betrachtet, raubt es einem den Atem.

„Lieber ein Bett in Puxi, als ein Haus in Pudong.“ 

Das gängige Sprichwort über die beiden Stadtteile westlich und östlich des Huangpu Flusses, sagt einiges aus über das zweigeteilte Shanghai. Der Distrikt Pudong ist ein am Reißbrett entstandenes Legoland, das außer seiner Hybris, nichts gemein hat mit dem alten wuseligen Shanghai. Auf dem Schwemmland, auf dem bis 1990 Ackerbau betrieben wurde, ist eine weiträumige und großspurige Hightech-Stadt entstanden. Mehr für Autofahrer als für Fußgänger ausgelegt. Kein Verkehrschaos, keine Parkplatzprobleme, alles schön sauber und geordnet. Hier steht das zweithöchste Gebäude der Welt, der 632 Meter hohe Shanghai Tower, Banken und internationale Konzerne haben ihre Zentralen in den Wolkenkratzern angesiedelt, Disneyland hat hier seine vierte Auslandsniederlassung eröffnet und wenn es nach den Stadtplanern geht, ist noch lange nicht Schluss.

Pudong entspricht Chinas Wunschvorstellung für das 21. Jahrhundert:

Neu, fortschrittlich, und effizient soll es bitte sein. Da bleibt die Seele Shanghais auf der Strecke, wie die Kritiker meinen. Eine echter Ureinwohner Shanghais würde, solange er nicht unter finanzieller Not leidet, niemals nach Pudong hinziehen. Weil zu ruhig, zu brav, zu langweilig, zu tot. Die Shanghaier sind viel zu stolz darauf, dass sie in einer Stadt leben, die niemals schläft und die sich so sehr vom gemeinen China abhebt. Und wenn Shanghai schon nicht China ist, dann ist Pudong auch nicht Shanghai.

Lieber ein Bett in Puxi als ein Haus in Pudong.

Um derlei Spitzfindigkeiten schert sich Ming nicht. Für sie ist Pudong vor allem eine Rechenaufgabe. 350 000 Euro kostet ihre 50 Quadratmeterwohnung. „Im Zentrum von Puxi müsste ich für die gleiche Größe über eine halbe Million bezahlen und würde trotzdem lange nicht so modern leben.“ Und modern ist Ming wichtig. Auf ihre Art ist sie genauso wie Pudong: jung, effizient, fleißig und auf wirtschaftlichen Fortschritt ausgerichtet. Da Prostitution in China offiziell verboten ist, bietet sie ihre Dienste inoffiziell in Sozialen Netzwerken an.

So bietet Ming ihre Dienste im Netz an

„Alles, bloß keine Japaner!“

Ihre Kunden, ausschließlich Ausländer, kommen aus allen Teilen der Welt. Mit Ausnahme von Japan. „Alles Perverse, die auf Fesselspiele mit kleinen Mädchen stehen.“ Chinesische Kunden lehnt sie ebenfalls ab. „Ich hatte zwei chinesische Blowjobs in meinem Leben. Einen dritten wird es nicht geben. Ich mag keine chinesischen Männer.“ Russen bediene sie auch nur ungern, die seien ihr zu grob. Italiener seien geizig und Engländer stets betrunken.

„Am liebsten sind mir Amerikaner. Die sind zwar oft etwas primitiv und ungepflegt, aber dafür deutlich großzügiger als alle anderen.“

Und großzügige Kunden sind natürlich immer willkommen, wenn man seine Eigentumswohnung monatlich mit 1.200 Euro abbezahlen muss. Das ist mehr als das einstige Monatsgehalt ihres Vaters, der, wie der Shanghai-Durchschnitt, rund 1.000 Euro im Monat mit nach Hause gebracht hat. Sie selber teilt sich mit einer Kollegin ein Miniappartement am Peoples Square für 500 Euro im Monat. Die schicke Neubauwohnung in Pudong ist für 700 Euro im Monat vermietet. Eine Rechnung, die locker aufgeht, wie sie meint. „Wenn ich so weiter mache, ist die Wohnung in spätestens zehn Jahren abbezahlt.“

Ming genießt den Ausblick auf Pudong. Die Reißbrett-Stadt ist genauso fortschritllich und kosteneffizient wie sie.

Das WeChat-Dilemma

Das könnte sich jetzt verzögern. Mings gesamtes Geschäftsmodell läuft über WeChat. So wie in China fast alles über WeChat abgewickelt wird. 960 Millionen der 1,2 Milliarden registrierten Nutzer in China verwenden die App täglich für mindestens 40 Minuten. Zum Chatten, zum Zugfahren, zum Taxi bestellen, zum Essen, zum Corona-Testing und auch zum Bezahlen. WeChat Pay ist das gängigste Zahlmittel der Volksrepublik. Kein Mensch nutzt Bargeld. Egal ob Straßenhändler, Friseure, Kellner, Gucci-Händler oder Autoverkäufer, alle werden via WeChat Pay bezahlt.

Natürlich zahlen Mings Kunden auch mit WeChat. 1.000 RMB, rund 120 Euro, müssen die amerikanischen Freier auf ihr Smartphone überweisen, sobald sie bei ihm vor der Tür steht. Sonst betritt sie dessen Wohnung nicht. Ist für Ming zugleich eine Lebensversicherung, da sie durch die digitale Überweisung die Kontaktdaten ihrer Liebhaber abgespeichert hat. Ist immer alles gut gegangen.

Der Idiot bedroht Ming’s Existenz.

Das könnte sich jetzt ändern. Da die Nutzung von WeChat in amerikanischen App Stores ab dem 20. September verboten ist, muss Ming nicht nur um ihre Sicherheit, sondern auch um die Finanzierung ihrer Eigentumswohnung fürchten. Womöglich wird sie gezwungen sein, perverse Japaner oder grobschlächtige Russen zu befriedigen. Wer tut so etwas einer jungen Frau an? Nur ein Idiot!

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