Gegendarstellung: In meinem Beitrag Aale mögen kein Kokain (vom 17.04.) hatte ich geschrieben, dass es in München kein Kokain mehr gäbe. Dazu stelle ich fest: Das entspricht nicht der Wahrheit! Es gibt sehr wohl Kokain. Angeblich sogar in ausreichenden Mengen, in gewohnter Qualität und zum üblichen Marktpreis. Ein paar empörte Leser aus der Betäubungsmittelbranche haben mich zwischenzeitlich aufgeklärt. Ich entschuldige mich hiermit für meine schlampigen Recherchen. Meine These, dass, das Isarwasser drogenfrei sei, dürfte dennoch stimmen, denn das Pulver wird derzeit nicht konsumiert, sondern verschimmelt in den Vorratskammern der Dealer. Die Aale können somit beruhigt weiter gedeihen.
Covid ist nicht gut fürs Koks-Geschäft
Da Kokain eine Partydroge sei und derzeit keine Partys stattfinden, gäbe es nämlich so gut wie keine Nachfrage, wie mir ein Händler, nennen wir ihn Turgut, erklärte. Turgut betreibt einen Lieferservice, der via WhatsApp gebucht wird und Kokain frei Haus liefert. Ein Geschäftsmodell, das normalerweise so gut floriert, dass er am Wochenende ein Dutzend Fahrer beschäftigt. Die hat er jetzt alle freistellen müssen. Kurzarbeitergeld kann er für sie nicht beantragen. Die wenigen Kunden, die jetzt noch was bei Turgut bestellen, kann er alleine abfahren. „Zum einen ein paar Manager-Typen, die das Zeug zum Arbeiten brauchen. Zum anderen sind mir noch ein paar Escort Girls geblieben. Mädels, die für 800 Euro gebucht werden, haben nämlich trotz Krise noch immer gutzutun.“
Plötzlich wollen alle haschen
Turgut plant daher sein Geschäft auf Cannabis auszuweiten. „Die Nachfrage nach Haschisch ist groß. Die Leute kiffen jetzt lieber. Das hatte mich bisher nie interessiert, da man mit dem Zeug zu wenig verdient. Aber da Haschisch mittlerweile Mangelware ist, kann man dafür jetzt deutlich mehr verlangen. Die erste Lieferung aus dem Ausland ist bereits auf dem Postweg unterwegs zu mir. Da der Zoll gerade besseres zutun hat, sind Postsendungen einfacher denn je. Das könnte mein Rettungsschirm sein, um die Krise zu überstehen.“ Ja, so läuft das in München, also zumindest in manchen Kreisen.
Junkies leiden unter Covid
Auf der Straße sieht die Realität etwas anders aus. Es gibt circa 200.000 Opioid-Abgängige in Deutschland. Die Hälfte von ihnen erhält eine Substitutionsbehandlung mit Methadon oder Polamidon, die anderen sind vom Originalstoff, dem Heroin, abhängig. Letzteres wird, bedingt durch die Grenzschließungen, immer knapper und auch teurer. Der Handel, der üblicherweise auf der Straße stattfindet, ist derzeit zu auffällig, da ein Heroindealer gerne von vielen gierigen Kunden umringt ist.
Ein Betroffener, nennen wir ihn Frankie, der üblicherweise in größerer Gruppe am Münchner Isartor anzutreffen ist, klärt mich auf: „Es war schon immer gefährlich hier abzuhängen, aber jetzt fällst du dermaßen auf, dass du ruckzuck weggesperrt wirst. Heroin-Dealer lassen sich schon lange nicht mehr hier blicken. Wir treffen uns hier normalerweise alle, weil nebenan eine Methadonausgabe stattfindet. Wir sind wie eine große Familie. Und natürlich nimmt keiner von uns nur Methadon. Die wenigsten Substituierten halten sich an die gesetzlichen Programm-Vorgaben, sondern sind fast alle Beikonsum gewohnt. Und wenn es nur Alkohol und Benzos sind. Benzos haben früher auf der Straße einen Euro das Stück gekostet, jetzt zahlst du dafür bis zu drei Euro, weil die Arztpraxen besseres zu tun haben, als unsereins Rezepte auszustellen.“
Mehr Drogentote wegen Covid
Frankie kann sich die Benzos nicht mehr leisten. „Ich trinke daher jetzt viel mehr Alkohol, weil das günstiger ist und ich meinen Pegel halten muss, damit ich keinen Entzug bekomme. Trotzdem schwierig, denn ich habe kaum noch Kohle. Für Essen kaufen bleibt nichts übrig. Ich müsste dringend zum Jobcenter, um neue Stütze zu beantragen, die haben aber geschlossen, das läuft jetzt alles nur noch Online. Keine Ahnung wie sowas funktioniert, ich habe keinen Computer. Ich hatte mir daher überlegt auf Entgiftung zu gehen, aber ich habe keinen Platz bekommen, weil die meisten Entgiftungsstationen zu Corona-Stationen umfunktioniert wurden. Es ist ein Drama, ein Kollege ist schon gestorben wegen dem ganzen Zirkus. Er hatte sich in der Not irgendeinen Tabletten-Cocktail gespritzt. Corona soll er auch gehabt haben heißt es. Aber ist ja auch egal woran unsereins stirbt. Wir sind ja eh nur irgendwelche Scheißjunkies, die keinen interessieren.“
„Es ist fünf vor Zwölf!“
Verschiedene Suchthilfe-Organisationen haben längst Alarm geschlagen und fordern die strengen Substitutionsauflagen zu lockern und den Suchtkranken einfacheren Zugang zum Ersatzstoff zu ermöglichen. Sie fordern unter anderem Take-Home-Substitutionen, damit die überfüllten Ausgabestellen entlastet werden und die Süchtigen sich keiner unnötigen Gefahr aussetzen.
Die Methadon-Ausgabe in meiner Nachbarschaft: „Junkies sind eine der Hauptrisikogruppen und wären daher gut beraten, sich so wenig wie möglich in öffentlichen Bereichen zu bewegen. Viele sind vorerkrankt und haben zum Teil sogar die Lungenkrankheit COPD. Hinzu kommt, dass sie aufgrund ihrer Sedierung eine Corona-Erkrankung womöglich nicht mal spüren würden. Heroin wurde einst vom Pharmakonzern Bayer entwickelt und jahrelang als Schmerz- und Hustenmittel vertrieben. Die Ersatzstoffe Methadon und Polamidon haben den gleichen Effekt. Sie unterdrücken jegliche Grippe-Symptomatik. Das bedeutet, dass sie erst ins Krankenhaus kommen, wenn es fünf vor zwölf ist. Klar, dass solche Patienten kaum Überlebenschancen haben.“ Trotz aller Appelle ist von Seiten der Regierung bisher nichts unternommen worden.
Die Preise für Amphetamin haben sich versechsfacht
Die Großhändler am anderen Ende der Welt sind auch betroffen. Ein Unterhändler des mexikanischen Sinaloa-Kartells, Jesus, erklärte gegenüber dem US-Magazin Vice, dass sich der Preis für Metamphetamin versechsfacht hätte. Anstatt 2.500 Pesos (90 Euro) kostet das Pfund jetzt 15.000 Pesos (540 Euro). Das hatte Kartell-Boss Ismael „El Mayo“ Zambada seinen Unterhändlern bereits vor vier Wochen via WhatsApp mitgeteilt, um Umsatzeinbußen vorzubeugen. Das sei zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht wirklich gerechtfertigt gewesen, aber da sein Boss in der WhatsApp zugleich auch betonte, dass man mit Konsequenzen zu rechnen habe, falls man sich nicht daran halte, folgt Jesus natürlich der neuen Preisempfehlung. Verständlich, denn wie mexikanische Konsequenzen aussehen, das wissen wir ja spätestens sei Breaking Bad.
Kein Fentanyl aus Wuhan
Grund für den Preisanstieg ist der Umstand, dass die Versorgungskette der Kartelle international verzahnt ist. Die chemischen Vorläuferstoffe für die Herstellung von Metamphetamin und auch dem synthetischen Opioid Fentanyl stammen vor allem aus China. Zentrum des chinesischen Fentanyl-Handels ist ausgerechnet die Provinz Hubei. Von da geht seit Monaten nichts mehr raus. Das größte Chemielabore seiner Art befindet sich sogar in Wuhan. Auch deutsche Pharmaunternehmen haben deswegen Fentanyl-Engpässe, denn der Stoff wird zur therapeutischen Behandlung von Akut-Schmerzpatienten benötigt.
Die Junkies baden es aus
Hinzu kommt, dass der Grenzverkehr zwischen USA und Mexiko seit kurzem nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Viele seiner Schmuggler seien daher arbeitslos, erklärt Jesus, der statt der üblichen 15 Kilo die Woche, aktuell nur noch fünf Kilo Meth und Heroin wöchentlich nach USA rüber schaffen kann. Aber ähnlich wie Turgut in München, hat auch Jesus aus der Grenzstadt Mexicali, seine persönliche Exit-Strategie gefunden. Seine Betriebskosten mögen zwar kurzfristig steigen, aber er wird die Kosten einfach nach unten weitergeben. „Meine Kunden, die Dealer, werden daher die Straßenpreise auch anheben müssen. Den Junkies wird das nicht gefallen. Aber sie sind abhängig, selbst wenn sie sich beschweren, am Ende zahlen sie doch. Egal, wieviel wir von ihnen verlangen.“
Ja, meine chinesischen Freunde beeinflussen das Weltgeschehen auf unterschiedlichste Art und Weise. In der Meteorologie bezeichnet man das als Schmetterlingseffekt. Demnach kann der Flügelschlag einer kleinen Fledermaus in Wuhan einen Tornado auslösen, der die ganze Welt niedermäht.
A donkey knows no gratitude. Knappert p. 138 Swahili