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„Kannst du Klavier spielen?“ Ich hatte die Anfrage meiner Shanghaier Model-Agentur verneint. Eine Woche später war ich dennoch gebucht. Von einem Piano-Geschäft wie es hieß. Ich sollte im Rahmen eines Video-Drehs oder Fotoshootings zumindest so tun, als ob ich Klavier spielen könne. Kein Problem. Wenn du einmal am Set bist und die Uhr läuft – in China wird nach Stoppuhr gemodelt – dann ist es egal, ob du wirklich Klavierspielen kannst oder nur gerne Klarvierkonzerten lauschst. Dann rennt die Zeit, und da Zeit Geld kostet, machen sie das Beste daraus, egal, Hauptsache sie haben einen Westler, der so aussieht wie sich die hiesigen Pianokäufer einen westlichen Klaviervirtuosen vorstellen.
Damit war mir eh schon mehr Information als üblich zuteil geworden. Zwei Tage zuvor hatte ich nur gewusst, dass ich einen Job haben würde. Die Calltime von sieben Uhr früh, wurde mir erst um 22 Uhr des Vorabends via WeChat mitgeteilt worden. Auf Nachfrage, um was es denn bei dem Job ginge, konnte man mir nur sagen, dass die Shooting-Location ein Fitnessstudio sei und dass ich daher vielleicht mal Sportklamotten mitnehmen solle. An besagter Adresse befand sich tatsächlich ein Sportcenter im Erdgeschoss, mein Kunde saß jedoch im ersten Stock und vertrieb Brautmoden. Sie hatten mich gebucht, damit ich in einem Video einen Brautmoden-Designer spielte. Ein ganz normaler Job, wie ich sie ständig hatte. Ein Dutzend solcher Videos kursieren von mir in China, in denen ich alles mögliche designe. Einmal sogar Kloschüsseln.
„Bruno & Sons – Technology From Leipzig Germany“
Daher, wer weiß, was Klavierspielen auf Chinesisch bedeutete. Könnte alles sein, sogar Hundefutter-Reklame. „Pls bring black suite + black busines shoe.“ Die WeChat-Nachricht um sechs Uhr morgens konnte mir nur ein müdes Lächeln abringen. Dass ich ein Model und kein Banker sei und außer ein paar Sommerklamotten kein Gepäck dabei hätte, hatte ich meinen Agenten mehrfach erklärt. Aber das ignorierten sie gerne. Daher also schwarze Nikes und einen hellblauen Sommeranzug eingepackt, das wird schon ausreichen. Als ich nach zweistündiger Anreise beim Kunden, weit außerhalb von Shanghai, ankomme, staune ich nicht schlecht. Es war kein kleiner Piano-Store, der mich gebucht hatte, sondern eine Klavierfabrik. „Bruno & Sons – Technology From Leipzig Germany“ stand in fetten Lettern am Eingang.
Ok, daher wehte also der Wind. Eine deutsche Firma brauchte einen deutsches Werbegesicht. Womöglich würde ich als Anzeige in der Leipziger Rundschau landen. Ja, es gibt einfach nichts was es nicht gibt. Als ich auf dem großen Fabrikgelände rumspaziere, entdecke ich eine festlich geschmückte Bühne mit rotem Teppich und Zuschauerbestuhlung davor. Im Hintergrund deutsche und chinesische Flaggen, darunter Schriftzüge, in denen die Deutsch-Chinesische-Kooperation gewürdigt wird. BRUNO PIANO FACTORY – BRINGING INTERNATIONAL HIGH-QUALITY PIANO TO CHINA. Das sah aus, als würden sie wichtige Gäste aus dem Ausland erwarten. Wahrscheinlich würden irgendwelche Kooperationsverträge besiegelt werden. Wichtige Import-Export-Deals. Egal was, es sah aus, als würde irgendein großer Event hier stattfinden.
Lohnsklave werden nicht fürs Denken bezahlt.
Um was es genau ging, konnte mir niemand erklären, zumal eh keiner Englisch sprach. Standard bei den meisten Buchungen. Zumindest H&M war zwischenzeitlich eingetroffen. Die Stoppuhr läuft nämlich erst ab dem Moment, ab dem der Haar- und Make-up-Artist mit seiner Arbeit beginnt. Somit waren die zwei Stunden Wartezeit wenigstens bezahlt. Zwar etwas kurzsichtig, da dessen Schmink-Arbeit, bei 38 Grad Außentemperatur, nach zwei Stunden bestimmt wieder von vorne beginnen würde, aber egal, ich werde nicht fürs Mitdenken, sondern für meine Anwesenheit bezahlt. Eine Maxime, mit der Millionen von chinesischen Lohnsklaven sehr gut fahren und die ich gerne übernommen hatte.
Der deutsche Jackpot
Eine Stunde später trifft schließlich Bruno ein. Bruno stammt nicht aus Leipzig. Bruno ist Chinese. Und Bruno erwartet auch keine Gäste aus Leipzig, wie er mir via Dolmetscher erklären lässt. Der einzige deutsche Gast, dem die ganze Inszenierung gelte, sei ich. Der Piano-Fabrikant war sehr glücklich, dass er einen deutschen Darsteller für sein Werbevideo gefunden hatte. Das sei mehr, als er zu hoffen gewagt hätte. Er hätte mich auch gebucht, wenn ich Italiener gewesen wäre. Egal, Hauptsache weiß, Hauptsache man könnte vorgeben, dass ich ein Deutscher sei. Aber ein echter Deutscher, das wäre schon ein besonderer Glücksfall. Er strahlte sehr selbstzufrieden. Er hatte alles richtig gemacht. Für Bruno war heute Weihnachten.
Er hatte unzählige Fragen über Deutschland. Wie das Wetter dort sei, was wir so essen und trinken, ob dort alle so groß und schön seien wie ich usw. Bruno war offensichtlich nie in Deutschland gewesen. Wahrscheinlich waren seine Leipziger Partner auch nie in China gewesen. Womöglich hatte er einfach nur ein deutsches Patent für seine Pianos erworben. Den Namen einer stillgelegten Leipziger Fabrik übernommen. Oder womöglich hatte es Bruno & Söhne in Leipzig nie gegeben. Egal, ich werde nicht fürs Denken bezahlt, sondern dafür Deutscher zu sein.
Made in China
Und zwar sollte ich jenen Leipziger Piano-Fabrikanten spielen, dem Bruno seine Klaviere zu verdanken hat. Es wurde ein Video gedreht, in dem ich feierlich einen Deutsch-Chinesischen-Kooperationsvertrag unterzeichnen musste, den wir im Anschluss mit feierlicher Handschlag-Geste besiegelten. So einfach werden hierzulande Produktionsstätten europäisiert. Im Anschluss ein weiteres Video, wie der Fabrikant mit seinem deutschen Ehrengast die Produktionsstätten besichtigt und ihm zeigt, wie fachkundig die deutschen Patente in der chinesischen Dependance umgesetzt werden. Danach wieder Handshake und Gruppenfoto mit Fabrikarbeitern. Feierabend. Endlich.
Die Sonne knallte runter, in der Fabrik gab es keine Klimaanlage, mein Business-Anzug, der keiner war, was niemand gestört hatte, war durchgeschwitzt. Schnell nach Hause in die eisgekühlte Downtown-Bude. Nein, nein, er sei noch lange nicht fertig mit mir. Es gäbe noch viel zutun, lies mir Bruno erklären. Meine Agentur hatte mir im Vorfeld gesagt, dass sie nicht genau wüssten, wie lange der Job dauern würde, aber dass ich wahrscheinlich mittags fertig wäre. Aber sie hatten ja auch gesagt, dass ich in einem Piano-Geschäft, Klavierspielen solle.
Copy & Paste
Daher Szenenwechsel. Nächstes Video. Jetzt musste ich im Designerlook, Gott sei Dank ohne Anzug, hemdsärmelig, Pianos am Reißbrett entwerfen. Kein Problem. Als das nach einer Stunde im Kasten ist, wieder Szenenwechsel. Viertes Video. Jetzt war ich der Mechaniker, der in Lederschürze ein Klavier zusammenschrauben sollte. Dazu wurde mir vorab ein Video gezeigt, in dem ein weißer Klavierbauer bei der Arbeit gezeigt wurde. Ein professionelles und hochwertiges Video, in dem detailliert alle Arbeitsprozesse dokumentiert waren. Mindestens ein Dutzend Arbeitsschritte, alle jeweils mit verschiedenen Einstellungen. Daran hatte man locker zwei Tage gedreht. „Like this you do.“
Es war das Werbevideo eines Mitbewerbers, der hatte damit Erfolg gehabt, hatte viele Pianos verkauft, also wollten sie es ihm gleichtun, es kopieren. Der ganz normale Chinese Way: Copy & Paste. Warum sich etwas Neues ausdenken, wenn man bewährte Konzepte kopieren kann? Ich erlebte das ständig. Fast immer waren am Set Videos oder Foto-Vorlagen, an denen man sich orientierte. Blindes Kopieren bis zum Umfallen. Und das alles an einem Nachmittag, anstatt an zwei Tagen, die eine ähnliche Produktion in Europa in Anspruch genommen hätte. Noch dazu an einem Set, an dem es auch ohne Scheinwerfer schon über vierzig Grad hatte.
Ohne Doping läuft nichts.
Ich musste mir mehrere meiner 200 mg Koffein-Ampullen einpfeifen, ohne die ich in China nie zum Arbeiten ging. Da man dort mit Kaffee, geschweige denn Espresso, nicht viel am Hut hat, ist man gut beraten, seine Dopingmittel selbst mitzubringen. Ohne Kaffee läuft in der Branche normal gar nichts. Es ist unter zivilen Arbeitsbedingungen schon schwer genug, den ganzen Tag fokussiert zu bleiben, aber was einem in China mitunter abverlangt wird, ist grenzwertig. Kein Wunder, dass die Jungs mittags alle wegpennen.
Der Mittagsschlaf ist in der chinesischen Verfassung verankert.
Der Mittagsschlaf, der Xiu-xi, ist in der chinesischen Verfassung unter Artikel 49 gesetzlich verankert. „Das arbeitende Volk hat das Recht zu ruhen.“ Der einzige Verfassungsartikel, den wahrscheinlich alle Chinesen kennen, denn China ist voll von schlafenden Menschen. Ob auf Parkbänken, in Rikschas, an Bankschaltern, auf Baustellen oder einfach am Straßenrand, überall sieht man sie mittags rumliegen. Und es ist kein leichtes Dösen oder Power-Napping, nein, sie schlafen tief und fest, egal was um sie herum passiert. Als Bruno mir anbietet, mich in der Mittagspause auch kurz irgendwo hinzulegen, muss ich passen. Zu viel Koffeinbomben intus.
Deutschland ist Vorbild
Lass uns lieber weitermachen, dränge ich. Er lacht, freut sich über so viel Elan, genau wegen dieser Einstellung fände er unser Volk so bewundernswert, weil wir so fleißige Arbeiter seien. Genau das wünsche er sich für China, dass sie irgendwann mal so gut wären wie wir. Der erste Schritt in diese Richtung sei die Anschaffung einer guten Espresso-Maschine erkläre ich ihm. „Ah, du brauchst Kaffee? Sorry, dass wir daran nicht gedacht haben.“ Er schickt sofort einen Angestellten los, um im nächsten Laden Kaffee zu besorgen.
„Können Vegetarier überhaupt Frauen befriedigen?“
Ja, als Gastgeber tun sie alles, damit man sich wohlfühlt. Sogar ein vegetarisches Mittagessen hatte er mir kommen lassen. Obgleich er das sehr seltsam fand. Wie kann man ohne Fleisch leben, will er wissen. Fleisch liefere doch wichtige Energie, ohne die man doch gar nicht leistungsfähig sei. Ob ich denn überhaupt Frauen glücklich machen könne, fragt er lachend. Ich erkläre ihm, dass mein Gemüse mich immerhin hat einen Kopf größer werden lassen und dass andere Teile an mir wahrscheinlich auch deutlich größer wären als bei ihm. Er lacht. Alle lachen. Sie freuen sich, dass der Deutsche den gleichen Humor zu haben scheint. Ich bin einer von ihnen. Oder zumindest könnte ich einer von ihnen werden.
Herrlich diese Deutschen!
Seine Ehefrau und das Kind schauen vorbei. Eltern und Großeltern sowie diverse Verwandtschaft auch. Die ganze Großfamilie scheint auf dem Fabrikgelände zu leben. Alle wollen sie einen Blick auf den ausländischen Gast werfen, Fotos machen, Hände schütteln, sie freuen sich, auch weil ich dem Kind in allerbesten chinesisch Liebesbekundungen zukommen lasse. Wo ai ni. – Ich liebe dich. So viel Chinesisch kann ich. Als ich dem Großvater schließlich erkläre, dass mein Lieblingsgetränk Tsingtao sei, und mir selbiges natürlich sofort kredenzt wird, habe ich endgültig alle Sympathien auf meiner Seite. Herrliche Menschen, diese Deutschen.
ach wieder herrlich lieber Armin 🙂
Danke, freut mich, meine Liebe.
Klasse!
Wieder sehr schön geschrieben.
Daaaaanke, lieber Werner!
Ich schmeiss mich weg… 😂 Du bist echt der Knaller. Genau mein Humor. 👌