Zum Inhalt springen

Udo Kier: 80 und kein bisschen leise

Udo Kier mit Pferd Max von Sydow auf seiner 30.000 qm Ranch in den Bergen vor Palm Springs.

Steile Wüsten-Sonne bei 33 Grad, die Luft steht, Grillen zirpen, Salamander tummeln sich auf der Veranda und ein Coyote beäugt aus sicherer Entfernung misstrauisch den Mann, der sich da neben einem lebensgroßen rostigen Metallpferd voller Innbrunst in seinem trocknen Garten abmüht. Wer arbeitet denn bei der Hitze im Garten? Warum pflanzt jemand Palmen mitten in der Wüste? Warum trägt der Designer-Klamotten? Warum führt der Selbstgespräche? Die Fragen stehen dem kleinen Präriewolf ins Gesicht geschrieben. Seine Schlussfolgerung auch: Der Typ muss bekloppt sein! Der Coyote hat Recht: Schauspieler Udo Kier ist bekloppt!

„Wenn nicht Schauspieler, dann sicher Gärtner.“

Sein Metall-Pferd, Max von Sydow, weiß seit Langem, dass sein Herrchen ein wenig schräg ist, schließlich erlebt es dessen David Lynch-Inszenierungen bereits seit über 30 Jahren. Womöglich ist Max deswegen irgendwann verstummt und verrostet, weil man bei Udo einfach nicht zu Wort kommt. Udo inszeniert sich nämlich gerne, als sei sein Leben ein Kunstfilm, in dem er die Hauptrolle spielt. Eine Hauptrolle mit ganz viel Text.

Dennoch schlagen zwei Herzen in seiner Brust, wie Udo gerne betont. „Wenn nicht Schauspieler, dann wäre ich sicher Gärtner. Zumal Palmen für mich eine ganz besondere Symbolkraft haben. Als kleiner Kölscher Jung, der in der Nachkriegszeit in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, kannte ich Palmen nur von Postkarten, die mir meine wohlhabende Tante aus dem Urlaub schickte. Die habe ich mir immer an die Wand gepinnt. Heute habe ich selber über 50 Stück davon in meinen Gärten stehen – von der Postkarte zur Realität.“

Udo Kier wurde am 14.10.1944 in Köln geboren.

Ein Leben, wie eine Postkarte

Mittlerweile verschickt Udo Kier selber Postkarten aus Orten, von denen andere träumen. 35 Jahre ist es her, dass er auf Einladung von Regisseur Gus van Sant, der ihn für „My Private Idaho“ verpflichtete, nach Hollywood ging. „Anfangs lebte ich bei einer Freundin auf der Couch, dann kam mein erstes Appartement für 400 Dollar, dann ein VW Käfer für 900 Dollar und die Dinge nahmen ihren Lauf.“

Obgleich es mit über 200 Filmen gut lief für Kier und er mit Größen wie Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger, Steve Buscemi, Matt Damon oder Ben Affleck arbeitete und auch ein Häuschen in den Hollywood-Hills sein Eigen nennt, fühlte er sich in Los Angeles nie wohl. „Hollywood ist mir zu viel Klischee, das klingt immer, als ob man mit Schwarzenegger trainieren geht und sich mit Joan Collins zum Tee trifft. Ich wollte etwas Ursprünglicheres.“

Kier spielte in My Private Idaho, Kir Royal, Lola, Lili Marleen, Ace Ventura, Blade, Speed, Armageddon, Invincible, Downsizing, End of Days, Soul Kitchen, Iron Sky, Melancholia, Nymphomaniac u.v.a.

„Ich möchte gerne im Licht sitzen.“

Seinen Sehnsuchtsort fand er schließlich in Palm Springs, zwei Autostunden östlich von Los Angeles, am Rande der Mojave-Wüste. Das Rentner-Eldorado mit dem Retro-Chic, in dem sie schon Frank Sinatra, Clark Gable und Ginger Rogers wohlfühlten, hatte es dem Schauspieler sofort angetan. „Ich nenne es ‚Cadillac City’, weil hier so viele schwarzbebrillte alte Damen mit ihren Riesenschlitten durch die Straßen kreuzen. Ein herrlich relaxter Ort, viel entspannter als L.A. und auch viel mehr Sonne.“ Sonne ist Udo wichtig, denn Sonne ist Licht, und Film sei ja auch nichts anderes als Schatten und Licht. Da wundert man sich nicht, dass der Filmstar neben Kunst und Sitzmöbeln vor allem Lampen sammelt. „Ein Psychologe würde sagen, ich möchte gerne im Licht sitzen.“

Zwei Container voll Designer-Stücke hatten sich angesammelt, als er über die zum Verkauf stehende örtliche Public Library von Stararchitekt Albert Frey stolperte. „Ich wusste sofort, dass das die ideale Location für meine Möbelsammlung ist. Denn meine Möbel sind Objekte, die man von allen Seiten betrachten kann.“ Und damit die vollends zur Geltung kommen, lud er einst Freunde zur Abrissparty und verteilte Hammer, damit da keine Innenwand mehr im Weg steht.

Designer-Loft und Natur pur – die Mischung macht’s

Entstanden ist ein großzügiges Loft mit Glastüren und großen Fenster. An den Wänden hängen Kunstwerke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Sigmar Polke, Rosemarie Trockel und Robert Longo. Auf dem Boden stehen Designklassiker von Charles und Ray Eames, George Nelson, Eero Saarinen und natürlich Arno Jacobsen. Dennoch hat Kier’s Zuhause nichts Museales, was auch an der lässigen Unaufgeräumtheit liegen mag und daran, dass Hündin Lisa die Sitzmöbel wenig ehrfurchtsvoll behandelt. Zudem die Celebrity-Kunst durch Gemälde, Stillleben, Skizzen und Skulpturen von unbekannteren Künstlern, sowie einiges Selbstgefertigtes aufgelockert wird.

Wenn piepsende Roadrunner vorbeirennen…

„Ich war mit so vielen Künstlern befreundet, wie Joseph Beuys, Michael Buthe oder Sigmar Polcke, da habe ich mir einiges abgeschaut und habe große Freude daran, mich selber künstlerisch auszutoben.“ So entstand auf dem 5.000 qm Grundstück nicht nur der Palmengarten in Handarbeit, sondern auch Pool, Küche und eine mit Krawatten bearbeitete Bertoia-Stuhl-Kollektion, die man kaufen kann. Nur auf seiner Ranch (30 000 qm), in den Bergen vor Palm Springs, wohin er sich gerne zum Textlernen zurückzieht, hat er alles etwas rustikaler belassen. „Da will ich durch nichts Inszeniertes abgelenkt werden. Nur Natur, ein paar Salamander und hin und wieder ein Roadrunner, der piepsend vorbeirennt. Großes Kino!“

„Mein Abgang? Am liebsten mit dem Cabrio über die Klippen.“

Warum hat Hollywood so gut funktioniert für dich?

Ich habe einfach sehr viel Glück gehabt und immer die richtigen Leute kennengelernt. Ob Paul Morrissey, der im Flieger neben mir saß, Visconti, der mir in einem Londoner Nachtclub Champagner spendierte oder Fassbinder, den ich erstmals in einer Arbeiter-Kneipe in Köln traf – vieles kam von ganz alleine auf mich zu. Zum Glück war das so, denn ich bin überhaupt nicht ehrgeizig. Ich habe noch nie einen Regisseur um einen Job gebeten, weder einen David Lynch, noch einen Pedro Almodovar. Ich habe immer nur gesagt: „I like your movies!“

Warum zumeist eher schräge Filme?

Bei Independent-Filmen habe ich mehr Möglichkeiten mir meinen eigenen Raum zu schaffen. Innerhalb von kürzester Zeit lerne ich die Namen von allen Mitarbeitern am Set und tausche mich mit ihnen aus. Das hat auch was mit Egoismus zu tun, denn wenn mich die Leute mögen, kann ich viel besser arbeiten. Das funktioniert bei großen Hollywood-Produktionen nicht, da bist du total entmündigt. Da hast du so viele Menschen um dich und läufst durch eine Maschinerie, die kaum Raum lässt für eigene Ideen. Film ist Schatten und Licht. Und in Hollywood sind die Schatten halt etwas länger.

Kannst du dem Alter etwas Positives abgewinnen?

Die lügen doch alle, die so etwas behaupten. Altwerden ist kein Spaziergang, das merke ich jeden Tag, wenn ich mir die Schuhe zu binde oder mal eilig irgendwo hinrenne. Ich hätte nichts dagegen nochmal 20 zu sein. Aber bitte mit meinem heutigen Wissen. 

Was soll mal auf deinem Grabstein stehen?

‚Er hat gelebt.‘ Und ich bin froh, dass da nicht stehen wird: geboren in Köln und gestorben in Köln. Ich finde es schön, dass ich rumgekommen bin in der Welt. Macht sich doch auch viel besser in der Legende: Er stürzte mit seinem Mercedes Cabrio über die Klippen von Santa Monica. Im schicken Anzug im Sonnenuntergang. Was für ein Abgang – herrlich!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.