In einem Land, in dem die 72-Stunden-Woche Standard ist und nicht wenige sogar 90 Stunden schuften, ist der Tag der Arbeit eine große Nummer. Am 1. Mai steht China Kopf. Sprichwörtlich.
Ich erinnere mich an einen Sonntag in Peking. Zumindest im Rest der Welt war Sonntag. Im China war Freitag. Die Chinesen hatten nämlich den Freitag gegen den Sonntag getauscht. Genauso wie sie den vergangenen Donnerstag mit dem letzten Sonntag eingetauscht hatten. Dadurch hatten sie aus dem Tag der Arbeit, der am Mittwoch war, einen dreitägigen Megafeiertag gemacht, ohne wertvolle Arbeitszeit zu verlieren. Ein ganz normales Prozedere, dass ich natürlich anfangs nicht verstanden habe.
Háo bā – alles klar
Ich hatte mich gewundert, warum in meinem Lieblingsrestaurant nicht der übliche sonntägliche Auftrieb war. Auch mein Date, eine Lehrerin, hatte mir kurzfristig abgesagt, weil sie unerwartet, ein paar Unterrichtsstunden für eine Kollegin übernehmen musste. In beiden Zusammenhängen tauchte zwar die Erklärung auf, dass heute doch Freitag sei, aber ich hatte dem keine Beachtung geschenkt. Mir waren aufgrund der Sprachbarrieren so viele seltsame Sachen passiert, dass ich mich schon lange nicht mehr wunderte. Háo bā – alles klar. Ich nicke stets alles ab und nehme es mit Gelassenheit hin. Man muss ja auch nicht immer alles verstehen. Irgendwann klärt sich immer alles von ganz allein auf.
„Kannst du Klavier spielen?“
Ich hatte die Anfrage meines Shanghaier Modelagenten verneint. Eine Woche später war ich dennoch gebucht. Von einem Piano-Geschäft, wie es hieß. Ich sollte wohl im Rahmen eines Video-Drehs zumindest so tun, als ob ich Klavier spielen könne. Kein Problem. Wenn du erst einmal am Set bist und die Uhr läuft – in China wird nach der Stoppuhr gemodelt – dann ist es egal, ob du wirklich Klavier spielen kannst oder nur gerne Klavierkonzerten lauschst. Dann rennt die Zeit, und da Zeit Geld kostet, machen sie das Beste daraus, Hauptsache sie haben einen Westler, der so aussieht, wie sich die hiesigen Pianokäufer einen westlichen Pianisten vorstellen. So zumindest hatte mir das mein Agent erklärt. Wie sich später herausstellte, gab es kein Piano-Geschäft, sondern eine Klavierfabrik, in der ich vorgeben musste, ein deutscher Piano-Fabrikant zu sein.
Hauptsache die Langnase bringt uns Geld ein
Bei der vorangehenden Buchung hatte ich nur gewusst, dass ich einen Job haben würde. Adresse und Calltime von sieben Uhr früh, war mir erst um 22 Uhr des Vorabends via WeChat mitgeteilt worden. Auf Nachfrage, um was es denn bei dem Job ginge, konnte man mir nur sagen, dass die Shooting-Location ein Fitnessstudio sei und ich doch besser mal Sportklamotten mitnehmen solle. An besagter Adresse befand sich tatsächlich ein Gym im Erdgeschoss. Mein Kunde saß jedoch im ersten Stock und vertrieb Brautmoden. Sie hatten mich gebucht, damit ich in einem Video einen Brautmoden-Designer spielte. Job ist Job, den Agenten ist das völlig egal. Man ist als Model für die meisten nur ein Stück Vieh, das möglichst gewinnbringend zu Markte getragen wird. Das wird im Westen vielleicht etwas subtiler gehandhabt, aber ist im Grunde das gleiche Spiel.
Auf deutscher Scheiße laufen
Ich habe Dutzende Videos gedreht, in denen ich vorgebe, der westliche Designer eines chinesischen Produktes zu sein. Das wertet die Waren in den Augen der Konsumenten auf und sie verkaufen sich besser. Ganz besonders wenn sie aus Deutschland stammen. Dass deutsche Firmen wiederum gerne in China produzieren lassen, entbehrt daher nicht einer gewissen Komik. Ganz besonders, wenn Adidas für seine Kollektion in China 20 Prozent mehr verlangt als in Deutschland, obgleich sie in der Volksrepublik produzieren. Das juckt den Konsumenten trotzdem nicht. Die Laufschuhe Ultraboost sind der Renner in China. „German shitty shoes“ werden sie genannt. Weil sie so gut gefedert und herrlich bequem sind, fühle es sich an, als würde man damit auf Scheiße laufen. Der Slogan hatte mich abgeholt, ich trage nichts anderes mehr.
Keine Macht den Drogen
Apropos Scheiße. Der deutsche Filmemacher Til Schweiger, der zuletzt nicht nur durch grottige Filme, sondern auch durch grottiges Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern auffiel, bezog in einem Zeit-Interview Stellung zu den Vorwürfen. Tenor: Ja, das sei nicht okay gewesen, dass er bei seinen Dreharbeiten betrunken gewesen sei und gewalttätig geworden wäre. Aber das sei wohlgemerkt nicht passiert, weil er am Set getrunken hätte, nein, er sei einfach noch prall vom Vorabend gewesen wäre. Das sei etwas ganz anderes. Am Set selbst würde er sich nämlich nie zudröhnen. Und auch sei er kein Alkoholiker, er trinke einfach nur gerne mal einen. Und wer was anderes behaupte, der bekäme von ihm aufs Maul. Mein suchtkranker Nachbar berichtet, das Interview sei seit Erscheinen der Running Gag bei seinen AA-Meetings.
Augen auf bei der Berufswahl
Tragisch auch das Schicksal von TV-Moderator Elton, dem gerade die Kündigung von seinem Arbeitgeber ProSieben ins Haus flatterte. 13 Jahre lang wurde er von dem TV-Sender dafür bezahlt, den unscheinbaren Nebendarsteller zu geben, der andere besser aussehen lässt. Ein Typ mit dem sich Otto-Normalbürger identifizieren konnte, weil bodenständig, nett, übergewichtig und ohne besondere Talente. Das hat Elton Millionen von Euros eingebracht. Und weil er gierig wurde, auch drei weitere Shows bei zwei anderen Sendern. Klar, dass sich sein Heimatsender, dass nicht dauerhaft gefallen ließ.
Und plötzlich stellte sich heraus, dass Elton gar nicht so bodenständig ist, wie alle glaubten. Denn anstatt sich dankbar und demütig zu zeigen, dass er ohne jegliche Tanz-, Gesangs- oder Schauspielausbildung im Showgeschäft über Jahre so viel Geld scheffeln konnte, macht er, was man in der Branche niemals tun sollte, er jammert öffentlich wie ein kleines Mädchen. Ja, nicht mal eine Abschiedsshow hätte man ihm gegönnt. Geschweige denn einen Flughafen oder ein Fußballstadion hätte man nach ihm benannt. Ja, die Showbranche ist einfach kein gesundes Umfeld. Daher mein Tipp zum Tag der Arbeit: Augen auf bei Berufswahl! Oder wie Konfuzius zu sagen pflegte: Wählt einen Beruf, den ihr liebt und ihr werdet keinen Tag in eurem Leben arbeiten müssen.
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